Versicherung nach KSVG? Tätowieren kann Kunst sein!

Tätowieren kann Kunst sein – Viele Tätowierer:innen verstehen ihre Arbeit auch als Kunst. Doch die Künstlersozialkasse (KSK) sah das in der Vergangenheit nicht so. Damit konnten die meisten selbstständigen Tätowierer:innen bisher nicht von einer KSK-Mitgliedschaft profitieren. Das Sozialgericht Hamburg und das Landessozialgericht Saarland haben in zwei Fällen jedoch anders entschieden.

Tattoos = Handwerk oder Kunst?

Das Selbstverständnis vieler Tätowierer:innen hat sich gewandelt: Sie verstehen ihre Arbeit als Kunst. Auch einige junge Nachwuchskünstler:innen verdienen zum Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn Geld mit Tattoos. Der Kunsthistoriker Ole Wittmann hat vor einigen Jahren eine Publikation zur Rolle des Tattoos in der Kunst veröffentlicht und auch Museen stellen Tattoos aus. Für viele Tätowierer:innen stellt sich deshalb die Frage, ob sie eine künstlerische Tätigkeit ausüben und damit  Versicherungspflicht nach dem KSVG besteht. Die KSK sah dies bisher nicht so und auch im sog. „Künstlerkatalog“ der KSK wird die Berufsgruppe nicht erwähnt.

Auch das Bundessozialgericht urteilte 2007, dass Tätowieren in der Regel keine Kunst im Sinne des KSVG sei. Es stellte fest:

Tätowieren ist der Sache nach eine handwerkliche Tätigkeit im weiteren Sinne, weil der Schwerpunkt auf dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten beruht, und kann deshalb nicht der »bildenden Kunst« im Sinne des § 2 KSVG zugerechnet werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 28.02.2007, Az. B 3 KS 2/07 R).

Abweichende Entscheidung   

Die meisten selbstständigen Tätowierer:innen konnten somit nicht von einer KSK-Mitgliedschaft profitieren. Da die Mitgliedschaft in der KSK mit einer erheblich reduzierten Beitragspflicht für die Kranken- und Pflegeversicherung einhergeht, kämpfen Tätowierer:innen seit Jahren rechtlich für die Anerkennung als Künstler:in.

SG Hamburg, Urteil vom 18.06.2020 – S 48 KR 1921/19

Das SG Hamburg urteilte 2020, dass eine Tätowiererin als Künstlerin anzuerkennen sei. Ausschlaggebend für die Richter:innen war, dass die Klägerin als Künstlerin ausgebildet wurde und die Arbeit mit der einer Illustratorin vergleichbar sei (SG Hamburg, Urteil vom 18.06.2020 – S 48 KR 1921/19).

Das Gericht stellte fest, dass „sich mittlerweile eine neue kreative Tätowierszene etabliert“ hat. Es führte aus: „An Hochschulen ausgebildete Künstlerinnen und Künstler verstehen sich nicht mehr als Dienstleister, sondern als Künstler und ihre Kunden als Leinwände; ihnen wird die Haut des menschlichen Körpers zur Schreib- und Malfläche. Bei diesen Kreativen hat sich der Schwerpunkt von einer handwerklich/technische Ausführung zu einer künstlerischen Betätigung im Sinne einer freien schöpferischen Gestaltung entwickelt, in der Intuition, Fantasie und Kunstverstand zusammenwirken, inspiriert von Kunstgeschichte und Grafikdesign. Merkmale dieser Tattookünstler sind ein unverwechselbarer Stil, der sich gestalterisch auf hohem Niveau bewegt mit Motiven jenseits des Mainstreams sowie Tattoozeichnungen, die von Genauigkeit und Feinheit geprägt sind und nicht seriell verwendet werden (SG Hamburg Urt. v. 18.6.2020 – S 48 KR 1921/19, BeckRS 2020, 45350 Rn. 19, beck-online).

In Auseinandersetzung mit der BSG-Rechtsprechung war für die Richter:innen entscheidend, dass die Künstlerin mehr Zeit für die Entwürfe als für das tatsächliche Ausführen, das Stechen des Tattoos, verwendete und jedes Tattoo ein Unikat darstellte.

LSG Saarland, Urteil vom 9.6.2020 – L 1 R 23/19

Auch das Landesozialgericht Saarland erkannte die Tattoos eines Künstlers als künstlerisch an. Die Tattoos seien im Gesamtgefüge des künstlerischen Schaffens zu sehen. Sie seien hier ein Medium des künstlerischen Ausdrucks.

Es wiederholte zugleich die Auslegung des BSG:

Tätowieren ist der Sache nach trotz einer – im Einzelfall uU gewichtigen – kreativen Komponente eine handwerkliche Tätigkeit im weiteren Sinne, da der Schwerpunkt auf dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten liegt (LSG Saarland, Urteil vom 9.6.2020 – L 1 R 23/19).

Auch wenn die Urteile einen Wandel andeuten, sagen sie nicht, dass alle Tätowier:innen Künstler:innen sind. Die Richter:innen betonen, dass die Anerkennung als Künstler:in durch die Fachwelt maßgeblich war. Der Schwerpunkt der Arbeit muss immer in der freien schöpferischen Gestaltung liegen, nicht in der handwerklichen Tätigkeit. In beiden Fällen konnten die Tätowierer:innen auch auf ihre künstlerische Ausbildung an einer Kunsthochschule verweisen.

Praxis

Die Erfolgsaussichten müssen also immer im Einzelfall geprüft werden. Ausschlaggebend für die Anerkennung als Künstler:in sind dabei unter anderem folgende Kriterien:

  • Eine Ausbildung an einer Kunsthochschule;
  • Die Anerkennung durch Fachkreise (bspw. Ausstellung im Museum/ Kunstverein, Berichterstattung in der Fachpresse usw.);
  • Ein aufwendiger Entwurf und eine wiedererkennbare Ästhetik sowie
  • die Vergleichbarkeit des Tattoos mit Grafikdesign, Illustration oder Malerei.