Arbeitgeber:innen sind bspw. nach Betriebsprüfungen oder im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens immer wieder mit Rückforderungen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) konfrontiert.
Das Bundessozialgericht hat am 5. November 2024 entschieden (AZ: B 12 BA 3/23 R), wie Altfälle, die zeitlich vor dem sog. Herrenbergurteil liegen, zu bewerten sind. Im Jahr 2022 hatte das BSG im Herrenbergurteil von seiner bisherigen Rechtsprechung Abstand genommen und entschieden, dass es von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig ist, ob Lehrende sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
Wir gehen im Folgenden auf das Herrenbergurteil und Reaktionen darauf (I.) sowie auf das neue Urteil des BSG vom November 2024 und seine Folgen ein (II.).
I. Das Herrenbergurteil: Sozialversicherungspflicht von Dozent:innen
Wie sind Dozent:innen und Lehrende sozialversicherungsrechtlich einzuordnen?
Im Urteil vom 14.03.2018 (Az. B 12 R 3/17 R) hatte das BSG die Tätigkeit von Musikschullehrer:innen noch als selbständig anerkannt. Dies änderte sich mit der Entscheidung vom 28. Juni 2022 (Az. B 12 R 3/20 R ). Im sog. Herrenbergurteil hat sich das Bundessozialgericht mit der statusrechtlichen Beurteilung einer Lehrerin an einer städtischen Musikschule beschäftigt. Es entschied, dass Rahmenvorgaben, die Freiheiten zur zeitlichen, örtlichen und inhaltlichen Gestaltung einräumen, erst dann für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, wenn bei der Dienstleistung eine Weisungsfreiheit vorhanden ist, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet. Damit hat es sich von seiner vorherigen Sonderrechtsprechung für lehrende Tätigkeiten distanziert und sich auf die allgemeinen Abgrenzungskriterien für die Einordnung als abhängig beschäftigt oder selbstständig zurückgezogen.
Seitdem sind die Kriterien für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht strenger.
1. Abgrenzungskatalog DRV Bund Juni 2024
Am 14.06.2024 präsentierte die DRV-Bund einen neuen Kriterienkatalog für die Abgrenzung von Beschäftigung und Selbständigkeit. Mögliche Kriterien für eine unternehmerische Tätigkeit sind demnach:
- nur allgemeine inhaltliche Rahmenvorgaben
- Einfluss auf organisatorische Ausgestaltung der Tätigkeit
- Mitbestimmung bei Unterrichtsort und -zeit
- Beteiligung an Kosten z.B. für Unterrichtsräume
- Möglichkeit des Einsatzes Dritter (Vertretung)
- Akquise von Schüler:innenund Unterrichtung auf eigene Rechnung
- Vergütung auch abhängig von variablen Elementen
- kein Ausfallhonorar
- keine Verpflichtung zur Vorbereitung und Durchführung gesonderter Schülerveranstaltungen
- keine Verpflichtung zur Teilnahme an Lehrer- und Fachbereichskonferenzen o. Ä.
- keine Meldepflicht für Unterrichtsausfall
Die genannten Kriterien sind nicht abschließend.
2. Dozent:innen sind nicht automatische selbständig tätig
Das Landessozialgericht Hamburg (LSG Hamburg Urt. v. 27.4.2023 – L 1 BA 12/22, BeckRS 2023, 13956 Rn. 69, beck-online) bejahte im Jahr darauf in seinem Urteil die Selbstständigkeit einer Dozentin. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass eine selbständige Tätigkeit von Dozent:innen vorliegt. Das LSG Hamburg führt aus, dass die Verpflichtung der Teilnahme an Konferenzen, Besprechungen und anderweitigen Verpflichtungen wie z.B. eine Vertretung auf eine Einbindung bzw. Einordnung in den Dienstbetrieb und damit auf eine abhängige Beschäftigung hindeuten würde, weil sich hieraus eine relativ intensive Eingliederung in den Schulbetrieb ergäbe. Ebenso können detaillierte Vorgaben bei der Unterrichtsgestaltung für eine fremdbestimmte Tätigkeit, also eine abhängige Beschäftigung, sprechen. Im Ergebnis hat das LSG Hamburg jedoch entschieden, dass eine selbständige Tätigkeit von der Dozentin vorlag. Im Wesentlichen hat das Gericht ausgeführt:
- Umfang war gering (4 Stunden die Woche)
- Flexibilität bei der Gestaltung des Stundenplans
- Es lag insbesondere keine Eingliederung in den Schulbetrieb vor (Dienstbesprechungen etc.).
II. Altfälle vor dem Herrenbergurteil
Mit Urteil vom 06.11.2024 (B 12 BA 3/23 R) hat das Bundesozialgericht nun zu sog. Altfällen, also Sachverhalten, die zeitlich vor dem Herrenbergurteil liegen, Stellung genommen. Es hat entschieden, dass kein Vertrauensschutz vorliegt und ggf. zu zahlenden Sozialbeträge zurückzuzahlen sind.
Das Bundessozialgericht (BSG) wiederholte, dass die Sozialversicherungspflicht von Lehrenden, hier im konkreten Fall von Dozent:innen an einer Volkshochschule, stets anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist und bestätige damit das Herrenbergurteil.
Im verhandelten Fall stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund die Versicherungspflicht eines Dozenten fest, der an einer Volkshochschule im Rahmen von Realschulabschlusskursen unterrichtete. Obwohl der Dozent den Unterricht eigenständig gestaltete und ein Weisungsrecht der Volkshochschule ausgeschlossen war, bewertete das BSG die Tätigkeit als versicherungspflichtige Beschäftigung.
Das Gericht betonte außerdem, dass es auch für die Zeit vor Juni 2022 keine maßgebliche höchstrichterliche „Sonderrechtsprechung“ gäbe, die eine lehrende Tätigkeiten generell als selbstständig einstufe. Daher können sich Bildungseinrichtungen nicht auf einen Vertrauensschutz berufen, um Beitragszahlungen für vergangene Zeiträume zu vermeiden.
Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung einer individuellen Prüfung der Arbeitsverhältnisse von Lehrenden hinsichtlich ihrer Sozialversicherungspflicht. Arbeitgeber:innen sollten daher die spezifischen Bedingungen jedes Beschäftigungsverhältnisses sorgfältig analysieren, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden.