Grenzen politischer Betätigung nach der Abgabenordnung und Rechtsprechung

Vereine, die sich für die Allgemeinheit engagieren und deshalb als gemeinnützig anerkannt sind, werden aufgrund dieser Anerkennung steuerlich begünstigt. Die politische Betätigung eines Vereins oder der Ausschluss bestimmter Personen kann jedoch zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen. In unserer Serie zum Thema „Vereine, politisches Engagement und Gemeinnützigkeitsrecht” behandeln wir die verschiedenen Aspekte und Fragestellungen.

Unser erster Beitrag zur Einführung in den gemeinnützigen Verein und die Relevanz der Frage nach politischer Betätigung findet sich hier. Der zweite Beitrag klärt, was es mit dem Gebot der parteipolitischen Neutralität auf sich hat, und grenzt dieses von allgemeinpolitischen Aktivitäten ab. Er ist hier zu finden.

Im dritten Beitrag gehen wir zunächst auf die Prinzipien der Abgabenordnung ein (I.) und erläutern den Unterschied von politischer Betätigung innerhalb und außerhalb des Zwecks (II.). Abschließend geben wir Handlungsempfehlungen (III.)

I. Einführung: Abgabenordnung

Zur Wiederholung: Eine Körperschaft - also auch ein Verein - ist gemeinnützig, wenn sie selbstlos (§ 55 AO), ausschließlich (§ 56 AO) und unmittelbar (§ 57 AO) gemeinnützige Zwecke (§ 52 Abs. 2 AO) verfolgt. Diese Zwecke müssen im Interesse der Allgemeinheit (§ 52 Abs. 1 AO) liegen.

Allgemeinheit

Eine Körperschaft gilt als gemeinnützig, wenn sie die Allgemeinheit fördert – zum Beispiel auf kulturellem, geistigem oder sozialem Gebiet. Nicht erlaubt ist es dagegen, nur einzelne Personen zu unterstützen. So wäre die Förderung nur einer bestimmten Künstlerin unzulässig, während die Förderung von Kunst und Kultur allgemein erlaubt ist. Wenn eine Körperschaft also Theateraufführungen organisiert, schafft sie ein Angebot für viele und erfüllt damit den gemeinnützigen Zweck.

Unmittelbarkeit

Eine gemeinnützige Körperschaft muss ihre gemeinnützigen Zwecke grundsätzlich selbst erfüllen, also aktiv an der Umsetzung von Projekten beteiligt sein. Der Einsatz von Hilfspersonen ist erlaubt. Eine geregelte Ausnahme besteht, wenn zum Bespiel, wenn Mittel an andere gemeinnützige Organisationen weitergeleitet werden.

Selbstlosigkeit

Eine gemeinnützige Körperschaft darf nicht eigenwirtschaftliche Interessen verfolgen und keine Personen oder Gruppen auf eine Weise begünstigen, die nichts mit dem gemeinnützigen Zweck zu tun hat.

Ausschließlichkeit

Eine gemeinnützige Körperschaft darf grundsätzlich nur ihren gemeinnützigen Zweck verfolgen. Andere Tätigkeiten sind nur in bestimmten Ausnahmefällen erlaubt. Wirtschaftliche, politische oder vermögensverwaltende Aktivitäten dürfen also nie Selbstzweck sein, sondern müssen immer der Erfüllung des gemeinnützigen Ziels dienen

Zweckkatalog

Der Zweckkatalog in § 52 Abs. 2 AO listet anerkannte gemeinnützige Zwecke auf. Dazu zählen beispielsweise

Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 sind als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen:
(...)
Nr. 4 die Förderung von Kunst und Kultur;
Nr. 7 die Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung einschließlich der Studentenhilfe;(...)
Nr. 24 die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind;

Eigene, abweichende Zwecke können vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt werden, wenn sie vergleichbar mit den Zwecken im Katalog sind.

II. Politische Betätigung innerhalb und außerhalb des Zwecks

Das Gebot der Ausschließlichkeit verlangt, dass ein Verein ausschließlich gemeinnützige Zwecke verfolgt. Er darf nur die in der Satzung festgelegten Zwecke umsetzen, sofern keine ausdrücklich zulässige Ausnahme vorliegt. Politische Betätigung ist im Zweckkatalog des § 52 AO nicht vorgesehen, und für sie ist auch keine Ausnahme geregelt. In der Praxis kommt politische Betätigung dennoch häufig vor. Sie kann unmittelbar dem satzungsgemäßen Zweck dienen – etwa wenn ein Umweltverband gegen Diesel demonstriert – oder außerhalb des Vereinszwecks liegen, wie im Fall eines gemeinnützigen Theaters, das eine Demonstration gegen Rechts organisiert. In beiden Konstellationen stellt sich die zentrale Frage, ob ein solches Handeln zulässig ist.

1. Innerhalb des Zwecks

Die Zulässigkeit politischer Betätigung hängt vom Zweck der Körperschaft ab. Bei Zwecken wie der politischen Bildung (§ 52 Abs. 2 Nr. 7 AO) oder der Förderung des demokratischen Staatswesens (§ 52 Abs. 2 Nr. 24 AO) darf sie nur die Meinungsbildung unterstützen – eigene Haltungen dürfen nicht vorgegeben werden.

"Geistige Offenheit"

Nach der Rechtsprechung muss politische Bildungsarbeit (§ 52 Abs. 2 Nr. 7 AO) also "geistig offen" sein. Das Bundesfinanzhof-Urteil vom 10. Januar 2019 zu attac (V R 60/17, BStBl. II 2019, 301, Rz. 27) konkretisiert dies:

  • Schaffung und Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischen Verantwortungsbewusstseins;
  • offene Diskussion politischer Fragen;
  • Nicht: Beeinflussung oder Durchsetzung einer bestimmten politischen Auffassung oder die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für Problemfelder der Tagespolitik;
  • Nicht: Durchsetzung oder Beeinflussung der Lösungsvorschläge.

Bei anderen gemeinnützigen Zwecken ist die Darstellung der eigenen Haltung oder der Versuch, andere davon zu überzeugen, erlaubt, solange die politische Betätigung dem gemeinnützigen Zweck dient. Beispiele hierfür sind ein Umweltverband, der gegen Diesel demonstriert, oder ein Kulturverein, der für mehr Kulturförderung protestiert.

Zweckgerichtet

Im finalen Zusammenhang gilt: Politische Betätigung eines gemeinnützigen Vereins muss stets auf die Verfolgung oder Förderung des satzungsgemäßen Zwecks gerichtet sein. Sie darf andere Tätigkeiten des Vereins nicht weit überwiegen und somit nicht zum Selbstzweck werden. Als grobe Richtlinie gilt: Politische Betätigung ist zulässig, wenn sie für die Erreichung des gemeinnützigen Zwecks erforderlich und angemessen ist.

2. Außerhalb des Zwecks

Außerhalb des Satzungszwecks wird die Zulässigkeit politischer Betätigung noch schwieriger zu beurteilen, da hier kein direkter Bezug zur Förderung des gemeinnützigen Zwecks besteht. Grundsätzlich sind Ausnahmen von der Ausschließlichkeit im Gesetz geregelt, etwa für wirtschaftliche Tätigkeiten. Politische Betätigung findet sich dort nicht. Sie kann außerhalb des Vereinszwecks in Einzelfällen zulässig sein, gestützt auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG.

Der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) sagt dazu:

In Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist es nicht zu beanstanden, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt (z. B. ein Aufruf eines Sportvereins für Klimaschutz oder gegen Rassismus).

III. Handlungsempfehlungen

Vereine sollten politische Äußerungen stets mit ihren satzungsgemäßen Zwecken verknüpfen und darauf achten, dass Tagespolitik nicht das Bild der gesamten Vereinsarbeit prägt. Die Kunst liegt darin, gesellschaftlich klar Haltung zu zeigen – ohne die eigene rechtliche Grundlage zu gefährden.

  • Politische Aktionen möglichst immer eng mit dem eigenen Satzungszweck verbinden („dienend einsetzen“). Beispiel: Ein Kulturverein fordert mehr Kulturförderung.
  • Politische Betätigung darf nie zum Selbstzweck werden oder die eigentliche Vereinsarbeit überlagern.
  • Bei Vereinen, die politische Bildung (§ 52 Abs. 2 Nr. 7 AO) oder Demokratiearbeit (§ 52 Abs. 2 Nr. 24 AO) fördern, gilt zusätzlich das Kriterium der „geistigen Offenheit“: Sie müssen offene Diskussion ermöglichen.

IV. Ausblick

In unserem nächsten Beitrag werden wir auf einen anderen Aspekt ein: Was ist bei der Aufnahme und dem Ausschluss von Mitgliedern wegen einer bestimmten politischen Haltung zu beachten?